Bundesregierung findet kein Konzept für mehr Pflegegerechtigkeit: Das Pflegestärkungsgesetz ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrter Herr Minister Gröhe, wie bewegt man sich, ohne wirklich von der Stelle zu kommen? Eine mögliche Antwort auf diese Frage liefert das sogenannte Pflegestärkungsgesetz; denn gemessen an den gravierenden Problemen, mit denen wir im Pflegebereich konfrontiert sind, und gemessen an den Zukunftsherausforderungen in diesem Bereich ist dieses Gesetz der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Mit Ihrem Gesetz, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, täuschen Sie die Menschen in diesem Land; denn das, was Sie heute abschließend zur Abstimmung stellen, hat nichts mit der so dringend notwendigen und von den Betroffenen so sehr erwarteten großen Pflegereform zu tun.

Dass die Bundesregierung in dem Pflegeproblem herumstochert und es nicht wirklich anpackt, haben wir in dieser Woche erneut mit der sogenannten Familienpflegezeit demonstriert bekommen. Was vom Titel her gut klingt, geht an der Realität vieler Familien jedoch vorbei. Es wird nur noch einmal deutlich, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die zahlreichen Probleme in der Pflege zu lösen; stattdessen wälzt sie diese Probleme auf die Familien ab.

Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht der dauerhaften Entwertung von Leistungen aus der Pflegeversicherung durch eine jährliche Leistungsdynamisierung entgegensteuern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich auch, warum nicht alle Menschen mit Pflegebedarf einen Anspruch auf häusliche Betreuungsleistung haben, sondern nur jene, die keine Sozialleistungen bekommen. Ebenso frage ich mich: Warum fassen Sie die Leistung zur Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und die zusätzlichen Betreuungsleistungen nicht in einer einheitlichen Entlastungspflege in Form eines Entlastungsbetrages zusammen?

(Beifall bei der LINKEN)

Oder: Warum ist in Ihrem Gesetzentwurf nichts zu finden, wie Sie zur Sicherung der Qualität in der Pflege einen bundesweit einheitlichen und verbindlichen Standard im Hinblick auf eine qualitätsbezogene Personalbemessung einführen wollen? Nebenbei bemerkt: Das Wort „Fachkräfte“ kommt in Ihrem Entwurf sowieso nur beiläufig vor. Das ist sehr bedauerlich für alle Pflegekräfte, die tagtäglich zum Beispiel im Dreischichtsystem unter schwierigsten Bedingungen sehr gute Arbeit leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Bringen Sie endlich die bundeseinheitliche Personalbemessung auf den Weg. Das wäre wirklich einmal etwas, was Sie gut anpacken könnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke hat wiederholt zu diesen Fragen Vorschläge für eine problemadäquate und soziale Pflegereform in die Debatte eingebracht. Die wichtigsten Punkte will ich hier an dieser Stelle noch einmal anführen. Führen Sie endlich einen umfassenden Pflegebegriff ein; denn Menschen mit kognitiven und/oder psychischen Beeinträchtigungen müssen endlich genauso wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen erfasst werden. Um den Wert der Pflegeleistungen auch in Zukunft zu erhalten, braucht es eine Leistungsdynamisierung, die sich an den realen Lohn- und Preisentwicklungen orientiert.

Die Gesetzeslücke bei Hilfe zur Pflege ist zu schließen. Häusliche Betreuung muss zu den Leistungen nach § 28 Absatz 1 SGB XI hinzugefügt werden, damit alle einen Anspruch auf häusliche Pflege erhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktion Die Linke fordert weiterhin: Streichen Sie die Regelung für eine Wartezeit von sechs Monaten für die Inanspruchnahme von Verhinderungspflege. Verhindern Sie weiteres Lohndumping in der Pflege, und erhöhen Sie den flächendeckenden gesetzlichen Pflegemindestlohn für die Beschäftigten, die überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege erbringen, in Ost und West auf 12,50 Euro pro Stunde, wie es auch die Gewerkschaft Verdi fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Zusammenhang will ich auch noch erwähnen, dass ich mit großer Sorge – Herr Nüßlein, im Gegensatz zu Ihnen – die Umwandlung von 40 Prozent des Sachleistungsbetrags in Geldleistungen für niederschwellige Betreuungsleistungen verfolge; denn damit wird das Pflegestärkungsgesetz zum Anheizer eines neuen privaten Pflegemarktes. Können Sie sich nicht vorstellen, was in einer Branche passiert, in der es nur um Geld und Zeit geht? Führen Sie sich einmal vor Augen, wie es dann weitergehen wird. Man muss wohl keine hellseherische Fähigkeit haben, um vorauszusagen, dass sich der Trend zur Minutenpflege noch weiter verstärken wird. Außerdem werden weitere Tore für noch mehr prekäre Beschäftigung geöffnet werden. Das kann nicht in unserem Sinne sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist ebenso voraussehbar, dass es zur Vermischung von Grundpflege, Hauswirtschaft und Betreuungsangeboten kommt. Das wäre ein Einfallstor zu einer Absenkung der Qualitätsstandards, die wir wirklich nicht wollen. Wenigstens das müsste Sie doch wachrütteln.

(Beifall bei der LINKEN)

Weiterhin sind wir der Auffassung: Lassen Sie die Finger von dem unsäglichen Vorsorgefonds, über den wir bereits gesprochen haben. Nutzen Sie das Geld lieber dort, wo es dringend gebraucht wird. Meine Fraktion wird in dieser Frage auch dem Änderungsantrag der Grünen zustimmen. Führen Sie lieber die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege ein. Schaffen Sie die Beitragsbemessungsgrenze ab, und beziehen Sie alle Einkommensarten ein. Damit können Sie die Pflegeleistung deutlich ausweiten und deren Finanzierung endlich auf eine solide Grundlage stellen.

Der Pflege-Bahr gehört abgeschafft – auch das haben wir heute schon gehört -; denn er sorgt dafür, dass das Geld vor allen Dingen in die Versicherungswirtschaft fließt und nicht in die Leistungen für die Versicherten, die sie dann im Alter benötigen, wenn sie Pflegebedarf haben.

In unserem vorliegenden Antrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, gehen wir noch einmal auf die wichtigsten Punkte ein. Diese Punkte würden Ihren Gesetzentwurf im Sinne einer sozialen Pflegepolitik aufwerten – für die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und die in der Pflege Beschäftigten.

Hören Sie mit Ihrem Klein-Klein auf, und gehen Sie das Problem endlich wirklich nachhaltig an. Dann haben Sie uns, Die Linke, an Ihrer Seite. Mit Ihrer derzeitigen Politik schieben Sie die Probleme aber nur auf.

(Maria Michalk (CDU/CSU): Das wollen wir ja nicht! – Jens Spahn (CDU/CSU): Es gibt Dinge, die braucht man nicht!)

– Jetzt sind Sie endlich einmal wach geworden. Das freut mich sehr.

(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn (CDU/CSU): Da muss aber noch ein bisschen mehr kommen!)

Daher können wir dem, was Sie bisher gesagt haben, und Ihrem Gesetzentwurf nicht folgen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN

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