Arbeitgeber werden nicht in die Pflicht genommen, Millionen Beschäftigte bleiben außen vor: So stellt sich die Bundesregierung die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege vor

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Schwesig, ich finde, es ist schon ziemlich sensationell, wie Sie nur minimale Verbesserungen, die auch noch mit Verschlechterungen einhergehen und nichts Grundsätzliches bewegen, den Menschen hier als gut verkaufen wollen. Das ist mittlerweile offensichtlich ein Markenzeichen der Bundesregierung.

Meine Damen und Herren, Anfang Oktober hat die Linke im Bundestag ein Pflegehearing veranstaltet, damit sich die Betroffenen zum Pflegestärkungsgesetz zu Wort melden konnten. Bei der Eröffnung saß eine Vertreterin der „Initiative gegen Armut durch Pflege“ auf dem Podium, die seit 31 Jahren ihre Tochter pflegt. Sie hat eindrucksvoll geschildert, was diese Pflegesituation für sie heißt: Überlastung bis an den Rand des Burnouts mit einer enorm prekären finanziellen Situation.

Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist – das ist, glaube ich, uns allen bekannt – kein Einzelfall. Die überwiegende Mehrheit der pflegenden Frauen und Männer erlebt die Pflege von Angehörigen als körperlich und emotional belastend. Viele der Pflegenden, insbesondere Frauen, sind zum Zeitpunkt des Pflegebeginns nicht oder nur geringfügig erwerbstätig. Frauen geben auch häufiger als männliche Pflegende ihre Erwerbstätigkeit auf, wenn sie die Pflege übernehmen. Genau solche Unterbrechungen führen zu geringeren Rentenansprüchen im Alter.

Die Probleme in der Pflege sind uns allen bekannt. Der Gesetzentwurf aber, welchen wir heute erstmals im Bundestag debattieren – bei ihm wird im Titel recht vollmundig von einer „besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gesprochen“ -, geht an einer wirklichen Lösung völlig vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, es soll kleine Verbesserungen geben. Dass es für die bisher unbezahlte zehntägige Pflegezeit eine Lohnersatzleistung geben soll, ist zu begrüßen. Diese kleine Verbesserung darf aber nicht über die völlig unzureichenden Vorschläge der Bundesregierung hinwegtäuschen. Wer glaubt, in zehn Tagen die pflegerische Versorgung organisieren zu können, geht vollkommen an den Lebensrealitäten von Menschen vorbei, die zum ersten Mal mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert sind. Es mag sein, dass ein Kind in zehn Tagen gesund wird, eine Pflegesituation lässt sich in zehn Tagen nicht regeln. Wir, die Linke, fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, die der Organisation und der ersten pflegerischen Versorgung von Angehörigen oder nahestehenden Personen dient.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein anderes Beispiel für eine vollkommen unzureichende Verbesserung ist die Reform der Familienpflegezeit. Das Familienpflegezeitgesetz von Schwarz-Gelb war ein Vollflop. Gerade einmal 135 Personen – das steht auch in Ihrem Gesetzentwurf – haben die Familienpflegezeit in Anspruch genommen. Schon bei der Verabschiedung haben wir einen verbindlichen Rechtsanspruch gefordert. Gut, dass die Bundesregierung hier jetzt nachbessern will. Sie lässt aber – wer hätte das gedacht? – den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern trotzdem eine Hintertür offen. Bei wichtigen betrieblichen Gründen kann verweigert bzw. abgelehnt werden. Frau Schwesig, das sind immer die Sachen, die Sie verschweigen.

Völlig unverständlich ist auch, warum die Bundesregierung darüber hinaus ein Fünftel der Beschäftigten von dem Rechtsanspruch völlig ausschließen will. Was ist das denn? Beschäftigte in Betrieben mit 15 oder weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen von dieser Regelung nämlich ausgenommen werden. Es sind doch aber gerade die kleinen Betriebe, wo es besonders schwer bis unmöglich ist, eine freiwillige Freistellung gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Konkret heißt dies, dass weiterhin deutlich über 5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Gutdünken ihres Arbeitgebers abhängig sind. Meine Damen und Herren, das ist nicht hinnehmbar!

(Beifall bei der LINKEN)

Was das Familienministerium als bessere Verzahnung von Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz verkaufen will, bedeutet im Endeffekt eine Verschlechterung. Frau Schwesig, das möchte ich Ihnen auch gern erklären. Bisher war die durch das Pflegezeitgesetz mögliche sechsmonatige unbezahlte Freistellung eine die Familienpflegezeit, die bis zu 24 Monate dauern konnte, ergänzende Möglichkeit. Der Gesetzentwurf regelt nun, dass die Pflegezeit der Freistellung nach dem Familienpflegezeitgesetz vorgeht und auf die maximale Freistellungszeit von 24 Monaten angerechnet wird. Das ist also faktisch eine Verkürzung. Auch das verschweigen Sie.

Davon einmal abgesehen, ist Pflege schwer planbar. Zu Beginn der Familienpflegezeit wird festgelegt, wie lange sie dauern soll. Und danach? Frau Schwesig stellt sich, wie wir gerade gehört haben, einen fliegenden Wechsel der Familienmitglieder vor. Ob das aber realistisch ist, ob die Familiensituationen, wie wir sie heute haben, das überhaupt hergeben, wage ich zu bezweifeln.

Insgesamt gehen die Regelungen des Gesetzentwurfs zulasten der Personen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder Teilzeit arbeiten. Für sie kommt nämlich eine Reduzierung der Arbeitszeit aus finanziellen Gründen oftmals überhaupt nicht infrage. Studien belegen, dass Geringverdienende öfter die Pflege von Angehörigen übernehmen als Gutverdienende, weil sie sich nämlich die professionelle Pflege nicht leisten können und weil die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden Kosten trägt. Das Gesetz löst also weder das Problem der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf noch das der sozialen Ungleichheit bei Versorgungschancen. Das geht nicht, Meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf verstärkt die soziale Spaltung und geht vor allem zulasten von Frauen. Denn trotz steigender Beteiligung von Männern sind es immer noch überwiegend Frauen, die Angehörige und Bekannte pflegen. Es sind überwiegend Frauen, die in prekären Arbeitsverhältnissen oder in Teilzeit arbeiten.

Über Ihren Gesetzentwurf freuen dürften sich die Arbeitgeber. Sie werden bei der Finanzierung nämlich völlig außen vor gelassen. Die Beschäftigten bauen Zeitschulden auf dem Arbeitszeitkonto auf, die sie später abarbeiten müssen, und sie verschulden sich finanziell, weil sie das Darlehen zur Aufstockung des Nettogehalts zurückzahlen müssen. Da nützen Ihre wohlfeilen Worte, Frau Schwesig, herzlich wenig. Die Kosten tragen diejenigen, die doch eigentlich entlastet werden sollen: Beschäftigte, die ihre Angehörigen pflegen.

Ganz im Sinne der bisherigen Pflegepolitik von CDU/CSU und SPD sowie der vorhergehenden Bundesregierungen wird die Hauptverantwortung für die Pflege ins Private geschoben. Auch Sie sprechen wie Frau Merkel von dem größten Pflegedienst, den wir haben, nämlich die Familien und die Angehörigen. Die Sicherstellung pflegerischer Betreuung wird so als Vereinbarkeitsproblem individualisiert. Wir, die Linke, fordern, dass die Pflegeversicherung zukunftsfähig wird, um den pflegerischen Bedarf abdecken zu können.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE))

Eine echte Entlastung von Angehörigen und Pflegebedürftigen und auch ihrer persönlichen Beziehungen wäre es, die professionelle Pflege zu stärken. Es geht mir und meiner Fraktion nicht darum, die professionelle Pflege und die Pflege durch Angehörige gegeneinander auszuspielen. Aber Sie dürfen die Unterschiede doch nicht einfach so vom Tisch wischen.

(Beifall bei der LINKEN)

Pflege ist eine hochkomplexe und anspruchsvolle Tätigkeit. Wir alle fordern doch eine Verbesserung der Ausbildung in den Pflegeberufen. Gleichzeitig leisten die Angehörigen natürlich einen enormen Beitrag für die umfassende Versorgung. Sie kennen die zu pflegenden Personen gut und können eine wichtige Ergänzung zur professionellen Pflege sein.

Es darf hier nicht darum gehen, welche Form der Pflege besser oder schlechter ist, sondern wir müssen die Unterschiedlichkeit anerkennen und davon ausgehend fragen, welcher Mix oder welches Pflegesetting, wie wir es nennen, für alle Beteiligten richtig ist. Das gilt es herauszufinden und zu unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber eine solche Offenheit lässt die Pflegeversicherung für viele nicht zu. Solange die Pflegeversicherung nur einen Teil der anfallenden Kosten abdeckt, ist keine wirkliche Entscheidungsfreiheit gegeben, nicht für die Pflegebedürftigen und auch nicht für die Angehörigen. Deshalb fordern wir nicht nur eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, sondern auch eine deutliche Anhebung der Leistungen der Pflegeversicherung, damit das gewünschte Pflegearrangement tatsächlich unabhängig vom Geldbeutel gestaltet werden kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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