Aufbruch gegen den Pflegenotstand

Heute ist der Internationale Tag der Pflege. Was bewegt an so einem Tag besonders?

Sahra Wagenknecht: Seit 50 Jahren fordern Pflegekräfte in Deutschland gute Arbeit, wirkliche Anerkennung, bessere Bezahlung und mehr Rechte. Denn in einem der reichsten Länder nicht nur Europas herrscht Pflegenotstand. Es ist unmenschlich mit der Gesundheit der Menschen Profite erzielen zu wollen. Das Personal in Pflegeeinrichtungen ist überlastet. Pflegeschlüssel und Dienstpläne stehen nur auf dem Papier. Die Zeit für Zuwendung und aktivierende Pflege fehlt. Also werden „die Alten“ medikamentös ruhig gestellt. Mit dem Pflegenotstand wächst die Pflegearmut. Es fehlen professionelle Angebote, um die fast drei Millionen Familien zu entlasten, zu deren Leben Pflege gehört. Die Zahl der Beziehenden von „Hilfe zur Pflege“ steigt seit Jahren. Es müsste Tausende Protestbriefe wie von der Krankenpflegerin Jana Langer an den Gesundheitsminister, geben, tausende Aktionen.

Pia Zimmermann: Die Pflegekräfte sind in Bewegung, beginnen, gemeinsam Druck zu machen. Pflegestreiks, Flashmobs und Kampagnen erhalten viel Resonanz. Immer öfter fordern sie, grundlegend umzusteuern. Denn bisher hat jede Pflegereform die Probleme am Ende verschärft: weniger Personal, noch mehr Arbeitsverdichtung, erzwungene Teilzeit, höhere finanzielle Belastungen für Patientinnen und Patienten und Menschen mit Pflegebedarf. Pflege wird immer teurer für die, die sie brauchen, doch nicht attraktiver für die, die sie leisten wollen.

DIE LINKE möchte in der Pflegepolitik grundlegend umsteuern. Welche Vorschläge stehen im Zentrum?

Sahra Wagenknecht: Die Fraktion hat vor wenigen Tagen ihre Studie zur Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung vorgestellt. Wir wollen bessere Leistungen sowie mehr Gerechtigkeit und Solidarität bei der Finanzierung. Das heißt: weniger Versicherungsbeiträge für die überwiegende Mehrheit, konkret für alle Menschen, die weniger als 6.250 Euro brutto verdienen. Die Beitragsbemessungsgrenze wird aufgehoben. Alle zahlen nach ihrem tatsächlichen Einkommen in die Kranken- und Pflegeversicherung ein. So werden auch höhere Einkommen gerecht belastet. Die private Krankenversicherung als Vollversicherung entfällt. Auf dieser Grundlage können bessere Versorgungsleistungen für alle finanziert werden. Das bedeutet auch weniger Arbeitsstress und bessere Bezahlung für die Pflegekräfte.

Pia Zimmermann: Für die Pflege könnten allein 2017 rund 12 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Das ist mehr als alle Pflegestärkungsgesetze zusammen erbringen. So schaffen wir die finanziellen Voraussetzungen, um mit der Zwei-Klassen-Pflege zu brechen. Ein erster Schritt in Richtung Pflegevollversicherung wäre möglich. Wenn der politische Wille dafür auch in anderen Parteien da wäre. Dann könnten die finanziellen Belastungen der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Familien durch Eigenanteile, Zuzahlungen und Investitionskostenumlagen sofort und dauerhaft sinken.

Welche Auswirkungen hätte die Solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung für die Pflegekräfte?

Pia Zimmermann: Die Pflegestärkungsgesetze haben für die Pflegekräfte vor allem den Arbeitsdruck gestärkt. Ansonsten ließ die Bundesregierung sie im Regen stehen. Nur wenn der Pflegeberuf wirklich attraktiv wird, ergreifen ihn auch viele junge Leute und die erfahrenen Kräfte bleiben. Allgemeinverbindliche tarifliche Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen sind dafür erforderlich. Die Solidarische Pflegeversicherung schafft auch hierfür die finanziellen Voraussetzungen.

Sahra Wagenknecht: Wir wollen, dass die Versichertenbeiträge in der Versorgung ankommen und nicht auf Gewinnkonten von Krankenhaus- und Pflegekonzernen landen. Es geht um hohe Versorgungsqualität für jede und jeden – wohnortnah, flächendeckend und unabhängig vom Geldbeutel. Deshalb muss die gesamte Finanzierung und Organisation von Gesundheit und Pflege neu geregelt werden. Die Solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung und eine andere Steuerpolitik gehören zusammen. Mit einer Steuer auf Vermögen ab einer Million Euro kann auch der Investitionsstau im Pflege- und Gesundheitsbereich aufgelöst werden. Wir brauchen endlich eine Politik, die das tägliche Leben der Menschen in den Mittelpunkt rückt und nicht private Renditeerwartungen.