»Wegen der Arbeitsverdichtung passieren immer mehr Fehler«

Erschienen in Junge Welt am 12.01.2021
„Nach Monaten unter Coronabedingungen steigt Druck auf Pflegekräfte weiter an. Ein Gespräch mit Pia Zimmermann

Zu Beginn der Coronapandemie gab es von allen Seiten Applaus für die Beschäftigten im Pflegebereich, man betonte, wie wichtig ihre Arbeit sei. Allerdings privatisiert die Politik seit Jahren das Gesundheitswesen, was hat das für Auswirkungen?

Unter Investoren hat sich herumgesprochen, dass es sich um einen sehr lukrativen Markt handelt. Mit Pflege und Gesundheit lässt sich gutes Geld verdienen. Das bedeutet aber, dass die Politik ihre Aufgabe verfehlt hat. Da kann ich nur sagen: Danke, setzen, sechs! Weil der Profit nämlich im Vordergrund steht – und nicht der Mensch. Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft, immer mehr können sich keine gute Pflege leisten. Pflege und Gesundheit werden zur Ware gemacht.

Die Situation in der Pflege war auch vor dem Ausbruch der Coronakrise nicht rosig. Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, sagt, er will sowohl die Qualität der Pflege als auch die Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern. Ist Spahn auf einmal auf dem richtigen Weg?

Aus meiner Sicht nicht. Spahn sagt immer das, was die Leute gerade hören wollen. Aber am Ende handelt es sich nur um heiße Luft. Es wurde auch schon davon gesprochen, dass bestimmte Betreiber nur noch Geld aus öffentlichen Quellen bekommen, wenn sie Tarifverträge haben. Aber Tarifverträge bedeuten nicht automatisch, dass es sich um gute Arbeitsbedingungen handelt. Es kann sich einfach nur um einen sogenannten Haustarifvertrag handeln. Der kann so schlecht sein, wie er will. Aber wenn es so einen Vertrag gibt, bedeutet es, dass die privaten Betreiber Zuschüsse bekommen. Das heißt, mit staatlichen Mitteln werden die Gewinne von privaten Investoren im Gesundheitsbereich finanziert.

Wie sähen Alternativen zum neoliberalen Gesundheitssystem aus?

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Ich stelle mir eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversorgung für alle Menschen vor. Niemand sollte sich mehr ausschließlich privat versichern können, sondern jede und jeder zahlt in diese Versicherung ein. Alle Einkünfte müssten erfasst werden, also auch Mieteinnahmen, Dividenden aus Aktien usw. Wenn das alle machen, dann zahlen die, die wenig haben, wenig, und wer viel hat, zahlt auch viel. Dann ist eine Pflegevollversicherung möglich. Das zeigt auch eine Studie, die Professor Heinz Rothgang für die Bundesregierung erstellt hat. Und der ist wirklich kein Linker.

Wenn so vieles für eine Pflegevollversicherung spricht, warum führt man sie dann nicht einfach ein?

Weil die Bundesregierung lieber die Interessen von privaten Versicherungen, Hedgefonds usw. bedient. Die CDU denkt eben an ihr Klientel. Dazu gehören private Krankenhausbetreiber und jetzt investieren auch noch Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen in diesem Bereich. Nicht der Mensch und seine Bedürfnisse stehen im Vordergrund, sondern der Profit!

Wie ist die Situation für die Beschäftigten in der Coronakrise?

Die Belastung steigt ständig! In die Altenpflege gehen die, die das von ganzem Herzen machen, obwohl die Löhne schlecht sind. Die Arbeitsbedingungen werden immer härter und deshalb geben auch immer mehr auf. Weil sie nach einer gewissen Zeit psychisch und physisch einfach nicht mehr können. Die zunehmende Belastung hat auch Folgen für die Qualität der Pflege. Teilweise können Medikamente nicht verabreicht werden, weil nicht genug Zeit vorhanden ist. Menschen mit Pflegebedarf wird keine Nahrung und kein Wasser zugeführt. Wegen der Arbeitsverdichtung passieren immer mehr Fehler. Und die Politik reagiert nicht!

Was also tun?

Ich würde mir wünschen, dass die Pflegekräfte mal ordentlich auf den Putz hauen und sagen, was wirklich in den Pflegeheimen los ist. Aber die Leute trauen sich nicht an die Öffentlichkeit. Und die, die sich trauen, werden sanktioniert. Deshalb müssen alle zusammen aufstehen.„

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